Eine Reise steht bevor. Vor wenigen Jahren noch hätte ich mich geweigert, diesen Weg zu gehen. Zu vernebelt war mein Verstand, zu groß meine Wut, zu hoch mein vermeintlicher Stolz. Wunden und Narben, die dem Auge verborgen bleiben, hinderten mich daran, mein Herz zu öffnen. Die Vergangenheit ruhen zu lassen und zu vergeben, wo das Leben gemeinsame Wege trennte, was in niemandes Schuld lag.
Manchmal passieren Dinge, für die niemand etwas kann. Sie passieren einfach und auf einmal ist alles anders, als es einst war. Leicht ist es, sich einen Schuldigen zu suchen, an dem man all seine Wut, Verzweiflung und Trauer auslassen kann, statt die Wahrheit zu hinterfragen und zu akzeptieren, dass manche Dinge grundlos geschehen und das Schicksal allein entscheidet, wohin die Reise geht. Dass es mehr als eine Wahrheit und eine Sichtweise gibt. Dass eine absolute Wahrheit nicht existiert.
Lange Zeit wandelte ich auf dem Pfad des Irrglaubens – zerfressen von meinem Hass, der mir den Scharfsinn raubte. Den ich mir selbst auferlegt hatte. Ich verrannte mich immer mehr in eine Sache, von der ich glaubte, die Wahrheit zu kennen. Heute weiß ich, dass ich unwissend und blind war. Eine Seite der Wahrheit wurde zu meiner Wahrheit – der anderen Seite die Chance beraubend, mir eine andere Sicht zu offenbaren. Doch ich war geblendet. Zu tief saßen die Wunden längst vergangener Tage. Niemand sollte jemals wieder Gelegenheit bekommen, mich derart zu verletzen.
Bis ich verstand, dass ich all die Jahre lediglich versucht hatte, mit meinem Hass das eine Gefühl zu überschatten, durch welches ich überhaupt erst so verletzlich geworden war. Das eine Gefühl, das solch einen Schmerz erst möglich machte. Das eine Gefühl, das ich nie gekannt, aber dennoch verdammt hatte; das ich immer unterdrückt, aber nie gefühlt hatte; Liebe.
Denn hätte ich es zugelassen, hätte ich mir eingestehen müssen, dass die Sehnsucht schwerer wog als jeglicher Hass, der sich über all die Jahre aufgestaut hatte. Dass all die Worte, die ich von mir gegeben hatte, Unrecht und vor allem meinem Ego geschuldet waren. Ich hätte mir eingestehen müssen, dass Liebe oft am meisten schmerzen kann. All meine Handlungen und Fehler hätte ich einsehen und hinterfragen müssen. Mit dieser Erkenntnis würde es lange Zeit dauern, bis die Wunden heilen. Selbige nochmals öffnen, leiden – doch anschließend heilen.
Es dauerte etliche Jahre, bis ich stark genug war, diesen Weg einzuschlagen und mir selbst damit erlaubte, den Heilungsprozess zu beginnen. Noch immer liegt ein großes Stück dieser Reise vor mir, doch hatte ich mich einst dazu entschieden, den Pfad der Vergebung zu gehen – daran würde ich festhalten, wenn der Wind kälter und der Weg steiler würde. Ich weiß nicht, was mich erwarten wird und wohin ich gehe, aber ich setze täglich einen Fuß vor den anderen. Mache Fehler, lerne, mache Pause, reflektiere, gehe weiter.
Manche Entscheidungen, die ich traf, brachten mich wieder etwas vom Weg ab – und andere werden es noch. Doch kann ich immer wieder zurück finden, wenn ich den Mut dazu aufbringe. Denn oft sind die Entscheidungen, vor denen wir uns am meisten fürchten, jene, die uns weiterbringen werden.
Auf jemanden zuzugehen und neue Bande zu knüpfen, statt sich an alten Seilen immer wieder zu verletzen und dem anderen die Schuld dafür zu geben, ist eines der schwierigsten. Doch solange auf beiden Seiten Wohlwollen und Bemühungen vorherrschen, kann ein Miteinander gelingen. Die Vergangenheit und all den Schmerz können wir nicht mehr ändern, aber wir können es besser machen. Wir müssen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen – dann wäre alles vergebens. Können wir jedoch daraus lernen, war nicht alles umsonst.
Wenn wir also Liebe zulassen, kann es das stärkste und schönste Gefühl sein, das wir je spüren werden. Aber muss uns bewusst sein, dass wir ebenso Verletzungen davon tragen werden, aus denen wiederum der gemeinsame Weg geebnet werden wird – durch die Kraft der Güte und Versöhnung. Das kann einem vieles abverlangen. Wir können auf Zehenspitzen gehen, wenn wir müssen – aber sollte dieser erste Schritt von vielen getan werden.
Denn das bedeutet Liebe.