Es kommt ganz ohne Vorwarnung. Ich fühle es nicht kommen und wenn ich es merke, ist es zu spät. Es ist ein ganz normaler Tag. Alles ist gut, meine Dämonen sind friedlich. Meine Gedanken kreisen zwar, aber weder übermäßig viel, noch besonders dunkel. Alles ist okay.
Dann setze ich mich ins Auto und mache mich auf den Weg zu einer Freundin. Ich freue mich, bin gut gelaunt. Ich denke mir »das wird ein guter Tag«. Ich habe die Musik laut aufgedreht, die Fenster geöffnet und singe lauthals und schief die Songs aus dem Radio mit. Die Autobahnauffahrt ist nicht mehr weit entfernt. Ich werde etwas nervös, aber das lächle ich weg. Das ist nichts, mir geht’s gut. Alles ist gut.
Die Tachonadel steigt. 120 km/h. 130 km/h. 140 km/h. Es ist viel los; unzählige LKW und Autos schleppen sich über den heißen Asphalt. Immer wieder fädeln sich Leute ein oder scheren aus. Auf der linken Spur rasen immer wieder Menschen an mir vorbei, in ihren schicken, viel zu schnellen Autos. Ich gucke in den Rückspiegel und auf einmal zieht der LKW schräg rechts neben mir auf meine Spur rüber.
Ich trete auf die Bremse und der Fahrer hinter mir kann gerade noch rechtzeitig abbremsen, um mir nicht hinten aufzufahren. Er flucht und wirft wütend die Arme hoch, doch das bekomme ich nur noch am Rande mit. Mit 100 km/h fahre ich hinter dem LKW her, unfähig mich zu bewegen. Von links rast ein Auto an mir vorbei – mein Wagen wird von dem Luftzug einmal nach links und rechts gedrückt.
Mein Herz rast. Ohne es zu merken kralle ich meine Finger ins Lenkrad – bis diese weh tun und die Knöchel weiß hervor treten. Meine Handflächen sind feucht benetzt, ich habe keinen festen Griff. Was wäre gewesen, wenn der LKW fünf Sekunden später raus gezogen wäre? Ich fange an zu schwitzen, meine Gedanken überschlagen sich. Die Autos fahren schnell, viel zu schnell. Was ist, wenn das Auto ausschert? Wenn mich jemand schneidet und ich nicht ausweichen kann? Ich kralle mich so fest ans Lenkrad, dass es wehtut und ich es gefühlt beinahe abreiße.
Ich hab vergessen zu atmen, fange an zu husten. Meine Kehle ist auf einmal so trocken. Wasser, ich brauche Wasser. Hektisch suche ich mit meinem Blick den Fußraum des Beifahrers ab, doch da ist nichts. Ich schaue auf den Tacho. 132 km/h. Zu schnell, viel zu schnell. Ich kann nicht mehr atmen. Meine Lunge, sie… Ich… Ich beginne zu hyperventilieren – die Schnappatmung löst Schwindel in mir aus. Mir ist schlecht, ich will aussteigen. Anhalten. Ich muss raus, ich will einfach nur raus hier. Ich versuche mich zu beruhigen. Alles wird gut. Mir passiert nichts. Ich… – Doch es klappt nicht.
Mein Brustkorb tut weh, mein Hals kratzt und meine Lunge brennt. Ich werde hier nie lebend rauskommen! Das wird meine letzte Autofahrt sein! Werde ich es noch bis ins Krankenhaus schaffen? Kann ich mich noch verabschieden? Woher wissen die Rettungskräfte, wen sie kontaktieren müssen? Wie und wann wird mein Mann es erfahren? Was wird mit meinem Sohn passieren? Ich krieg keine Luft mehr, ich muss raus, ich will weg!
Tausende von Gedanken schießen mir durch den Kopf während ich mit dem Leben ringe und dabei versuche, das Fahrzeug sauber in der Spur zu halten. Ich darf die Kontrolle nicht verlieren – dann ist es vorbei. Ich versuche ruhiger zu atmen, doch das führt nur dazu, dass ich noch mehr Panik bekomme und das Gefühl, zu ersticken, wieder wächst.
Meine Finger pochen und sind schmerzhaft verkrampft. Als ich versuche, sie etwas zu lösen, durchfahren mich mehrere Schmerzimpulse. Mein Herz klopft so fest gegen meine Brust, dass es wehtut. Es schlägt schnell, viel zu schnell. Erst jetzt bemerke ich, dass Tränen über meine Wangen laufen. Ich ordne mich auf der rechten Spur ein und reduziere die Geschwindigkeit. Nicht nur die meines Wagens, sondern auch die meiner Gedanken.
Ich konzentriere mich auf meine Atmung. Ein, aus. Ein, aus. Langsam. Ich bin sicher. Alles ist gut. Es ist nicht mehr weit. Ein paar Kilometer noch, dann kommt die Ausfahrt. Ich schaffe das. Ich kämpfe gegen den Drang an, eine Vollbremsung zu machen, anzuhalten, auszusteigen und wegzulaufen. Du kannst das. Du hast schon so lange deinen Führerschein, es wird alles gut.
Mein Puls wird ruhiger. Mein ganzer Körper ist verkrampft und angespannt. Langsam löse ich erst die eine, dann die andere Hand vom Lenkrad. Nachdem ich sie etwas geschüttelt habe fällt mir auf, dass ich zittere. Ich kann meine Hand nicht ruhig halten. Ein wenig muss ich noch durchhalten, gleich habe ich es geschafft.
Ich halte an. Unfähig, mich zu bewegen, sitze ich da und starre einfach nur in die Leere. Sekunden vergehen, Minuten. Ich fühle mich ausgelaugt und bin unglaublich erschöpft. Mein Körper hat all seine Kraft dafür verbraucht, mich am Leben zu halten. Ich war nie wirklich in Gefahr – das weiß ich jetzt. Es wird mir langsam bewusst. Aber vorhin wirkte es auf meinen Körper so, als würde ich mich in Lebensgefahr befinden.
Erlebnisse aus meiner Vergangenheit haben mir »gezeigt«, dass ich vor bestimmten Situationen Angst haben sollte. Aber Angst allein reicht nicht. Mein Kopf gibt falsche Signale an meinen Körper weiter und ehe ich mich versehe, verfalle ich in pure Panik. Obwohl ich mit rationalem Kopf weiß, dass es mir gut geht. Nur in solchen Momenten weiß ich es eben nicht.
Panikattacken sind wirklich schlimm und können sich für Betroffene lebensbedrohlich anfühlen. Nach außen hin mag das vielleicht albern oder banal wirken, aber in solchen Momenten gibt es für uns nur Leben oder Tod. Wenn uns die Panik überkommt, gibt es kein logisches, rationales Denken mehr. Alles, was es dann gibt, ist die schiere Angst und der Kampf ums Überleben. Es ist schlimm. Es macht müde. Es kann sich bei jedem anders auswirken. Aber das Wichtigste: Es geht vorbei.
Ich kann manche Trigger nicht verhindern, aber ich kann mich auf sie vorbereiten. Lernen, damit umzugehen.
Und wenn sie das nächste Mal kommt, kann ich mir sicher sein, dass sie mich nicht bekommen wird.