Wir kommen auf die Welt und sind von Anfang an auf Hilfe angewiesen. Wir müssen darauf vertrauen, dass sich unsere Eltern gut um uns kümmern. Sich um uns sorgen. Uns bedingungslos lieben.
Sie halten uns im Arm, wiegen uns, halten unsere kleinen Hände. Auch wenn wir älter werden, halten sie unsere Hand. Lehren uns das Laufen, reichen uns eine Hand wenn wir hinfallen. Irgendwann werden die Kleinen dann flügge und verlassen das Nest. Doch die Arme unserer Eltern werden immer offen für uns bleiben und uns, wann immer es nötig sein wird, eine Hand reichen.
Aber was ist, wenn die Vorstellungen sich nicht mit der Realität decken und unsere Hand ins Leere greift?
Wir werden in dieses Leben geworfen ohne überhaupt jemals gefragt worden zu sein, ob wir das wollen. Diese Entscheidung haben unsere Eltern für uns getroffen. Und auch wir werden sie eines Tages treffen, wenn wir uns dazu entscheiden sollten, Kinder zu bekommen. Niemand fragt diese kleinen Wesen, ob sie das überhaupt wollen. Und wie sollte man auch?
Sie werden in diese Welt geboren mit einem Urvertrauen, dass es Menschen gibt, die einen lieben und sich um einen kümmern. Sie wollen überleben und müssen sich dem hingeben, was Erwachsene für richtig erachten. Schutzlos ausgeliefert kommen sie auf diese Welt und müssen darauf vertrauen, dass es die Eltern gut mit einem meinen und alles mögliche dafür tun, uns das bestmögliche Leben zu bieten.
Babys können keine Entscheidungen treffen. Sie können nicht entscheiden, ob sie leben oder gar nicht erst geboren werden wollen. In welche Familienverhältnisse sie geboren werden. Ob sie ein erfülltes oder ein von Kummer und Schmerz geprägtes Leben haben werden.
Wir kommen auf die Welt und alles, was es gibt, sind Wahrscheinlichkeiten und Eventualitäten. Niemand kann vorausahnen, was in 20, 30 Jahren sein wird. Was alles passiert, wie es sich anfühlen wird.
Manchmal passieren einfach Dinge, für die niemand etwas kann. Menschen trennen sich, Dinge laufen anders als geplant. Das Leben passiert. Und von heute auf morgen sitzt man da und weiß nicht, wie man all das noch schaffen soll. Wie das passieren konnte. Man war doch nur kurz glücklich und dann – passierte das Leben.
Mit einem Schlag sitzt du vor einem komplett anderen Leben. Eines, das du dir selbst nicht ausgesucht hast. Das du nie haben wolltest. Um das du nie gebeten hast.
Du willst schreien, und weinen, und dich verkriechen bis alles wieder gut ist. Aber was bedeutet schon gut? Du bist kein Kind mehr, bei dem man das Aua einfach wegpusten kann. Du bist kein Kind mehr, das überall in der Welt nur das Gute und Schöne sieht. Du bist kein Kind mehr, das nur den Schmerz von aufgeschürften Knien kennt. Irgendwann stehst du auf und dir wird klar; du bist kein Kind mehr.
Wenn du etwas nicht schaffst, sind da weder Mama noch Papa, die das Problem für dich lösen. Die das Monster, welches von unter deinem Bett in deinen Kopf gezogen ist, vertreiben können. Wenn du Schmerzen hast, sind da weder Mama noch Papa, die dir das Aua wegpusten werden. Die dir den Schmerz, welcher tief in deinen Eingeweiden wütet und von dem sie meist nicht einmal etwas wissen, nehmen können. Wenn das Kind in dir trotzig wird und sich vernachlässigt fühlt, sind da weder Mama noch Papa, die dir über den Kopf streichen und dich trösten werden. Die dir den Weg zurück zu deinem erwachsenen Ich zeigen, indem sie dir eine Hand reichen.
Du wirst immer ihr Kind sein, aber erst als Erwachsener weiß man, wie viele Hürden man eigentlich alleine nehmen muss. Wie einsam manche Wege sein können. Wie schmerzhaft Entscheidungen sein können. Und wie hart das Leben zuschlagen kann.
Manche machen diese Erfahrungen erst als Erwachsene, andere hingegen schon, wenn sie eigentlich noch Kind sein sollten. Sie wachsen nicht so behütet auf, wie sie es sich gewünscht hätten. Sie bekommen nicht die Liebe zu spüren, die sie gebraucht hätten. Sie haben nicht das Leben bekommen, das sie verdient hätten.
Zu oft mussten sie Entscheidungen treffen, die sie nicht hätten treffen sollen. Zu oft mussten sie mit Dingen klarkommen, die sie nicht hätten erleben sollen. Zu oft haben sie ins Leere gegriffen an Stellen, an denen eine helfende Hand hätte auf sie warten sollen.
Aus kleinen Kindern wurden kleine Erwachsene, weil das Leben es nicht gut mit ihnen meinte. Weil sie in eine Generation aus unverarbeiteten Traumata hinein geboren wurden und Wunden austragen mussten, für die sie nichts konnten. Weil sie Spuren innerer Kriege zu spüren bekamen, die nicht ihre eigenen waren.
Und das nur aufgrund einiger falscher oder fehlender Entscheidungen anderer.
Wir sind nicht für die Wunden unserer Eltern verantwortlich. Wir schulden ihnen nichts. Aber was wir uns selbst schulden, ist, es besser zu machen.