Von klein auf wird uns beigebracht, in den vorgegebenen Linien zu malen. Alles über den Rand hinaus ist schlecht – falsch. Doch wer beurteilt eigentlich, was gut und was schlecht ist? Wer hat das Recht dazu?
Wir eignen uns Dinge und Verhaltensmuster an – durch Erfahrungen und Entscheidungen, die wir selbst oder andere einst für uns trafen. Wir verweilen in diesen, selbst wenn sie uns nicht mehr von Nutzen sind. Was wir einmal gelernt haben, bleibt in uns verankert, ohne dass wir das nochmal hinterfragen. Schließlich gab es in der Vergangenheit Situationen, in denen wir davon profitiert haben. Also haben wir uns dieses Schema angelernt und gebrauchen es heute noch genauso wie damals.
Was wir dabei oft vergessen, ist, dass wir älter geworden sind und nun andere Möglichkeiten haben, zu handeln – vielleicht sogar welche, die viel besser funktionieren. Doch daran denken wir nicht, entweder weil wir nicht wollen oder weil wir nicht können. Wir sind festgefahren in unserem Denken und glauben daran, dass unsere Muster heute noch genauso brauchbar sind, wie sie es damals waren. Oft stimmt dies aber nicht. Wir haben uns weiterentwickelt, und auch die Welt um uns herum hat sich verändert.
Was früher hilfreich erschien, kann heute gänzlich unbrauchbar sein. Ein kleiner Elefant, angekettet an einem Holzpflock, der fest in der Erde steckt, versucht, sich händeringend von diesem zu befreien, weil er frei sein möchte. Mit all seiner Kraft kämpft er gegen seine Fessel an, bis er entkräftet zu Boden geht und erschöpft und entmutigt aufgibt. Er hat gelernt, dass er gegen diese Fessel keine Chance hat, so sehr er sich auch anstrengt. Der Elefant wächst und wird größer, bis er schließlich ein ausgewachsener, kräftiger Elefant ist.
In seinem Denken jedoch ist immer noch verankert, dass er nichts gegen die Fessel machen kann. Mittlerweile wäre es für ihn ein Leichtes, seinen Fuß zu heben und die Kette zu durchbrechen. Ein Tritt und er wäre frei. Er könnte endlich das Leben leben, welches er sich seit er ein kleiner Elefant war, gewünscht hat.
Sein Kopf aber hält ihn davon ab, weil er in der Vergangenheit so sehr enttäuscht wurde, dass er nicht nochmal wagt, seine Erfahrungen und die Erkenntnisse, die er dadurch gewonnen hat, zu hinterfragen. Und so wird er zum Gefangenen seiner Selbst und hängt an einer Kette, die er sich selbst auferlegt hat.
Damals war es für ihn die beste Entscheidung, aufzugeben und nicht weiter zu versuchen, gegen die Fessel anzukämpfen. Würde er es aber heute nochmal versuchen, würde er neue Erfahrungen machen und dabei feststellen, dass er nun viel stärker ist und das Zeug dazu hat, sich eigenhändig zu befreien.
Genauso ist es bei uns Menschen auch. Wenn wir in der Vergangenheit etwas getan, oder vielleicht auch unterlassen haben, war das wahrscheinlich meist auch begründet und es war die für uns bestmögliche Alternative, sich mit der Situation zu arrangieren. Wir lernen daraus, dass wir uns in jeder Situation, die dieser vergangenen ähnlich ist, genauso verhalten sollten. Umso älter wir dann werden, desto öfter werden wir merken, dass unser Verhalten zu derartigen Situationen gar nicht mehr passt.
Aber anstatt etwas neues auszuprobieren, an dem wir eventuell scheitern könnten, verharren wir in unseren alten Verhaltensmustern und nehmen die Negativgefühle, die dadurch entstehen, einfach hin. Fühlen uns vielleicht sogar auf eine paradoxe Art und Weise darin bestätigt, dass wir beim Alten bleiben sollten, da die Enttäuschung sonst noch größer werden könnte. Durch diesen Kreislauf sind wir an den Ketten unserer Selbst gefangen und fragen uns, warum die Dinge nicht besser zu werden scheinen.
Dabei wäre alles, was wir tun müssten, neue Erfahrungen zu schaffen, die uns zeigen, dass es andere Alternativen, bessere Möglichkeiten für die jeweiligen Situationen gibt als jene, die wir bislang verwendet haben. Wir müssen den Mut und die Kraft aufbringen, unsere eigenen Ketten zu sprengen und neue Wege zu gehen, die wir uns erst ebnen müssen. Schlimmer als die Enttäuschung, die wir durch unsere veralteten Verhaltensmuster immer wieder erfahren, kann es nicht werden. Worauf also warten?
Gehe nicht den Weg, auf dem bereits gegangen wurde, sondern gehe dorthin, wo noch nichts ist und hinterlasse deine eigenen Spuren. Lass dich durch die Angst vor Veränderung nicht lähmen und verweile nicht an den Ketten, die du dir selbst auferlegt hast.
Nur wenn du bereit bist, über den Rand hinaus zu malen und wieder zu lernen, die Pinselstriche über die vorgegebenen Linien hinaus zu setzen, kannst du das Leben leben, welches bereits hinter den Mauern auf dich wartet.