Mobbing geht uns alle etwas an. Wenn wir wegsehen, machen wir uns zu Mittätern. Falls ihr jemals eine derartige Situation mitbekommen solltet, helft dem Opfer – ihr könntet die einzigen sein, die es tun (sofern ihr euch dabei nicht selbst in Gefahr begebt). Jeder kann helfen – und das kann Leben retten. Gemeinsam gegen Mobbing!
Ein Wort. Ein Satz. Aus einem wurden zwei, dann drei. Bis man sie nicht mehr zählen konnte. Eingebrannt – die hinterlassenen Stellen schwarz. Flecken auf der Seele, die unbrauchbar machen. Nicht deine Schuld, du warst noch so klein.
Beiläufig wurdest du geformt – jeden Tag, Stück für Stück. Anfangs war es noch zu ertragen – die anderen lachten über dich und du lachtest mit ihnen. Hast das alles für einen Spaß gehalten. Doch aus Spaß wurde Ernst. Die Abwertungen und Beleidigungen wurden mehr, lauerten an jeder Ecke. Du konntest dich nicht wehren. Was hättest du auch tun sollen?
Den Kopf eingezogen gingst du durch die Straßen, über den Schulhof, durch das Büro. Ein schüchterner Blick zur Seite – verstohlene Blicke und tuscheln. Sie reden über dich. Wie du aussiehst. Wie du riechst. Wie du deine Aufgaben machst. Es ist nicht gut genug. Du bist nicht gut genug – und wirst es nie sein.
Langsam sickern die Worte durch dein Gehirn. Du willst das alles nicht wahr haben. Warum du? Warum lassen sie dich nicht in Ruhe? Du hast ihnen nichts getan. Du tust, was von dir verlangt wird, bist stets freundlich und machst deine Aufgaben gewissenhaft. Das stimmt nicht, was sie sagen. Du bist nicht zu dick, oder zu dünn, oder hässlich, oder stinkst. Es stimmt nicht, dass dich niemand liebt. Dein Papa ist nicht wegen dir gegangen und dass du kaum Freunde hast, weil sich alle vor dir ekeln, ist auch nicht wahr.
So viel prasselt auf dich ein, du kannst dich nicht davor schützen. Wie Gift verseuchen die Worte deinen Verstand. Parasiten, die dich glauben machen, dass sie vielleicht doch Recht haben könnten. So viele von ihnen reden schlecht von dir, also muss es doch wahr sein – oder? So viele Menschen, egal ob klein oder groß, können sich doch nicht irren – oder? Ich bin nicht schlecht – oder?
Langsam werden ihre Gedanken und Worte zu deinen. Jeden einzelnen Tag bist du ihnen ausgesetzt. Anfangs waren es nur Worte, nur ein kindliches Spiel. Man ärgert sich doch ab und zu, alles halb so schlimm. Doch was wie ein Spiel begann, wurde zum Kampf ums Überleben. Den einen Schlag verkraftest du schon, den Tritt steckst du locker weg. Die Dinge, die sie dir gestohlen und zerstört haben kann man ersetzen. Ich war ungeschickt, Mama, es tut mir leid.
Du nimmst die Schuld auf dich. Umso lauter die Welt um dich herum wird, desto stiller wirst du selbst. Mit Bauchschmerzen und Angst zwingst du dich zur Schule zu gehen, zur Arbeit, zum Sport. Sie werden bald aufhören, irgendwann hören sie auf, weil es ihnen langweilig wird. Nur einen weiteren Tag überstehen – an nichts anderes kannst du denken.
Aber sie hörten nicht auf. Es wurde immer schlimmer. Worte reichten nicht mehr aus um dich zu peinigen. Sie attackierten dich; bissen, schlugen, traten, kratzten und begnügten sich mit deinem Eigentum. Du warst ihr Spielzeug – und niemand hat dir geholfen. Du warst allein. Schutzlos ausgeliefert vor den nächsten Angriffen. Der Alltag wurde zur Qual. Sobald du eine Möglichkeit gefunden hattest, irgendwie daheim bleiben zu können, hast du diese genutzt.
Die Worte, die sie gegen dich erhoben, verebbten nur schwer. Immer wieder prallten sie an den Wänden deines Verstandes ab und hallten zurück. Ein ewiges Echo, das dir nachts den Schlaf raubte. Du hattest Albträume, in manchen Nächten bist du schweißgebadet und tränennass aufgewacht. Fandest nur schwer zurück in den Schlaf.
Vielleicht gab es mal wenige Gespräche, aber geändert hatte sich nichts. Selbst nach einem Wechsel gingen die Sticheleien weiter. Du bist nicht gut genug. Dich will niemand haben. Du bist fett und hässlich. Brillenschlange. Ritz dich doch zu Tode…
Niemand hörte deine Hilfeschreie. Niemand sah den Käfig, in dem du gefangen warst. Niemand nahm die Qualen wahr, die du Tag ein, Tag aus erleiden musstest.
Mit deinem Gestank ziehst du schon die Fliegen an. Guck dich an du Klappergestell. Da kommt die fette Kugel – passt auf, dass sie euch nicht umrollt. Halt die Fresse, interessiert niemanden was du sagst. Verpiss dich, wir wollen dich hier nicht haben. Nicht einmal deine Eltern wollten dich.
Die Worte schmeckten bitter auf deiner Zunge, dröhnten wie eine verzerrte Melodie in deinen Ohren. Anfangs hast du noch versucht, sie abzuwehren, aber mittlerweile bist du so müde. So unendlich müde, von diesen Worten, die nicht deine sind. Oder doch?
Nach all diesen Jahren des extremen Mobbings sind die Überzeugungen anderer deine eigenen geworden. Ich bin fett. Ich bin hässlich. Ich bin nicht gut genug. Niemand will mich, alle hassen mich. So kann ich nicht rumlaufen – am besten bleibe ich ganz zuhause. Mich will eh niemand sehen. Vielleicht stinke ich auch wieder – ich sollte heute noch ein viertes Mal duschen gehen. Die Leute sehen mich an – sie reden gewiss schlecht über mich, weil ich schlecht bin.
So viele Menschen haben dich glauben lassen, dass du nichts wert bist. Dass du dich für dein Aussehen schämen solltest und schlecht bist. Dass es nicht gut sei, was du tust – egal, was du tust. Sie haben in dir immer nur das Opfer gesehen. Aber du bist kein Opfer. Du bist ein Mensch – genau wie sie. Wenn man bedenkt, was sie dir angetan und wie sie dich behandelt haben, braucht man nicht lange zu überlegen um zu wissen, wer wirklich der schlechte Mensch ist.
Wie du dich selbst im Spiegel betrachtest ist ein Erzeugnis dessen, was dir jahrelang eingetrichtert wurde. Dieser Mensch im Spiegel wird durch das Echo der Vergangenheit beschrieben. Doch das bist nicht du. Vielleicht ist es an der Zeit, dein eigenes Spiegelbild zu finden. Den Parasiten zu entfernen und Worte zu sprechen, die deine Zunge ganz allein geformt hat. Das Echo wird nicht einfach verstummen, aber vielleicht können wir es hinter eine Tür sperren.
Lange genug war das Echo deine Stimme, hatte diese fest im Griff.
Aber jetzt spreche ich.