Es war einmal ein kleiner Wichtel, der Odin hieß. Er arbeitete am Nordpol für den Weihnachtsmann mit lauter anderen kleinen, eifrigen Wichteln zusammen. Die Arbeit machte ihm Spaß und Odin liebte es, die strahlenden Kinderaugen zu sehen, wenn diese am Heiligen Abend die Geschenke öffneten.
Doch so sehr es ihm dort auch gefiel, war er auch ziemlich traurig. Er war anders als die anderen Wichtel; alle hatten sie rote Mützen, weiße Bärte und ihre Kleidung war glatt und fein. Sie bewegten sich schnell und geschickt. Odin hingegen hatte eine grüne Mütze, einen grauen Bart und seine Kleidung war zerknittert und widerspenstig. Er arbeitete hart und war fleißig, aber ständig unterliefen ihm kleine Missgeschicke.
Er stolperte oder stieß einen Farbeimer um, oder einmal fiel er gegen den Hebel der großen Wundermaschine und zig Fehlproduktionen liefen über das Band. Die anderen Wichtel schlossen ihn aus, tuschelten hinter seinem Rücken und ärgerten ihn, sobald der Weihnachtsmann den Raum verließ.
Das machte Odin traurig und sauer. Er war verzweifelt; wollte er doch einfach nur so gerne dazu gehören. Doch die anderen ließen ihn immer wieder spüren, dass er anders war. Also begann er irgendwann zu glauben, dass es schlecht sei, wenn man anders war.
Odin versuchte sich anzupassen: Er bügelte seine Kleidung dreimal am Tag, färbte sich den Bart weiß und tunkte seine Mütze jeden Morgen vor Arbeitsbeginn in den roten Farbeimer. Sein Versuch, so wie die anderen zu sein, ging jedoch kläglich schief.
Mit der weißen Farbe bekleckerte er seine ganze Kleidung, sodass er aussah wie ein Dalmatiner – nur eben mit weißen statt schwarzen Punkten – und die rote Farbe tropfte von seinem Hut auf den Boden, überall wo er hin trat. Außerdem lief sie ihm über das Gesicht, sodass es seine Sicht behinderte und er nicht mehr so arbeiten konnte, wie der Weihnachtsmann es von ihm gewöhnt war.
Eines Tages – Odin saß ganz verzweifelt und unendlich traurig auf der hinteren Treppe – trat der Weihnachtsmann an ihn heran: »Mein lieber Odin, was ist nur mit dir los? Du wirkst so traurig in letzter Zeit und deine Arbeit …«
»Es tut mir Leid, Weihnachtsmann«, piepste Odin mit brüchiger Stimme. »Ich will doch einfach nur so sein wie die anderen Wichtel auch. Von ihnen akzeptiert werden, dazu gehören. Wieso muss ausgerechnet ich anders sein? Anders zu sein ist schlecht …«
»Aber, aber, Odin«, entgegnete der Weihnachtsmann mit tiefer Stimme. »Nur weil du anders bist als die anderen Wichtel, heißt das noch lange nicht, dass du weniger wert bist! Du leistest genauso gute Arbeit wie die anderen auch, wenn nicht sogar noch besser. Du bist mein bester und fleißigster Wichtel, Odin!«
Odin blickte auf, seine Augen glänzend. Ein winziges Tränchen kullerte über seine volle Wange in den Bart hinein. Die Farbe tropfte überall an ihm herunter, er ähnelte beinahe einer Zuckerstange. »Wirklich?«, fragte er ein wenig skeptisch.
»Aber sicher doch. Mein lieber, guter Odin. Du bist etwas besonderes, eben weil du nicht wie alle anderen Wichtel bist. Sie alle versuchen perfekt zu sein und buhlen um meine Gunst. Sie werden sich selbst untreu, weil sie mir gefallen wollen. Du hingegen, Odin, bist nicht so.«
»Du machst dir nichts daraus, was die anderen von dir denken – was ich von dir denke. Du arbeitest hart, dir passieren Fehler, du korrigierst sie und arbeitest weiter. Meine anderen kleinen Wichtel verfallen in Panik, sobald ihnen ein Fehler unterläuft – oder sie kommen zu mir angerannt.« Er begann herzlich zu lachen.
Odin überlegte, dann antwortete er: »Aber Weihnachtsmann, mir ist es wichtig, was die anderen von mir denken. Warum sonst würde ich jetzt so aussehen?« Er zeigte an sich herunter.
Der Weihnachtsmann zog ein Stofftuch aus seiner Manteltasche, wischte Odin damit durch das Gesicht und reichte es ihm anschließend.
»Das bist aber nicht du, mein lieber Odin. Du bist gut, so wie du bist. Man muss nicht perfekt sein, um geliebt zu werden. Erst unsere Fehler und Macken machen uns doch einzigartig und zu dem, was wir sind. Meinst du, ich wäre heute der Weihnachtsmann und würde den Nordpol leiten, wenn ich damals darauf gehört hätte, was die anderen zu mir sagten?«
»Meine eifrigen Wichtel sind neidisch, weil sie wissen was du leistest. Sie wissen nicht, wie sie mit dir umgehen sollen, weil du dich nicht beirren lässt – im Gegensatz zu ihnen.« Er zwinkerte Odin zu.
»Geh dich waschen, kleiner Mann. Und dann zurück an die Arbeit. Ich kann es nicht gut haben, wenn mein bester Wichtel an seinem Platz fehlt.«
Odin strahlte bis über beide Ohren. »Danke Weihnachtsmann. Ich danke dir so sehr!« Er warf sich um die Beine des Weihnachtsmannes und zum ersten Mal in seinem Leben wurde ihm bewusst, dass es gut war, anders zu sein.
Er lief zum Waschbecken und wusch sich die ganze Farbe runter, die sein eigentliches – sein echtes – Ich verborgen hatte. Ihm wurde bewusst, dass er keine Bestätigung von außen brauchte, wenn er im Inneren wusste, wer er war.
Er war Odin. Er war anders. Und er war verdammt stolz drauf.